Dieselskandal: EuGH – Urteil erhöht Chancen auf Schadensersatz

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem Urteil vom 21.03.2023, Az.: C-100/21, die Hürden für Schadensersatzklagen gegen praktisch alle Hersteller von Fahrzeugen mit Dieselmotoren, welche ein sogenanntes Thermofenster einsetzen, gesenkt.

Zunächst stellt der EuGH klar, dass eine Software, mit der die Abgasrückführung verringert wird, wenn die Außentemperaturen unter einem bestimmten Schwellenwert liegen (sogenanntes Thermofenster) unzulässig ist. Eine solche Abschalteinrichtung, die im praktischen Betrieb höhere Stickstoffoxid-Emissionen zur Folge habe, sei nach der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen verboten.

Das allein führt jedoch noch nicht zu einem Schadensersatzanspruch der Käufer gegen die Hersteller.

Nach der Rechtsprechung der deutschen Gerichte, allen voran des Bundesgerichtshofes (BGH), war bislang stets der Nachweis einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB erforderlich.

Nach dem neuen Urteil des EuGH bedarf es statt dessen nun nur noch
des Nachweises einfacher Fahrlässigkeit.

Das klingt erstmal positiv, beinahe so, als ob nun problemlos Schadensersatz von den Herstellern gefordert werden könnte. Ob die Entscheidung Betroffenen aber wirklich hilft, Schadenersatzansprüche gegen Mercedes und auch gegen andere Hersteller von Autos mit Thermofenster erfolgreich durchzusetzen, bleibt abzuwarten.

Keineswegs sollte man erwarten, dass das EuGH-Urteil dazu führt, dass Verbraucher den Kauf eines Fahrzeugs mit Thermofenster automatisch rückabwickeln oder Schadenersatz fordern können.

Zum Einen macht der EuGH deutlich, dass die deutschen Gerichte bei Klagen wegen des Thermofensters im Einzelfall feststellen müssen, dass im betreffenden Fahrzeug unzulässige Technik verbaut wurde.

Zudem müssen die Kläger weiterhin ein Verschulden des Herstellers (Fahrlässigkeit) nachweisen.

Beim Bundesgerichtshof hatten Diesel-Kläger bisher nur dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Diese strengen Kriterien waren allein beim VW-Skandalmotor EA189 erfüllt.

Wie mit dem Urteil des EuGH in Deutschland umzugehen ist, will der Bundesgerichtshof noch in diesem Frühjahr entscheiden. Allein beim BGH sind im Moment mehr als 1.900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig.

Bisher hat der BGH für den Hersteller Mercedes-Benz geurteilt, dass ein vorhandenes Thermofenster für sich genommen nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.

Das oberste deutsche Zivilgericht hat eine Grundsatzentscheidung für den 8. Mai 2023 terminiert. In diesem Verfahren geht es um einen VW-Motor. Sie wird aber auch auf andere Hersteller übertragbar sein.

Aber selbst wenn der BGH seine Rechtsprechung im Grundsatz ändern und einfache Fahrlässigkeit genügen lassen sollte, kann ein hierauf gestützter Anspruch des Klägers immer noch daran scheitern, dass die Gerichte selbst fahrlässiges Handeln des Herstellers verneinen, etwa weil das Kraftfahrtbundesamt als Aufsichtsbehörde die verbaute Technik (Thermofenster) für zulässig gehalten hat. Etwas provokant könnte man also fragen: Warum sollen die Hersteller schlauer sein als das Kraftfahrtbundesamt?

Es bleibt also trotz der EuGH-Entscheidung spannend.

Falls auch Sie Fragen zum Dieselskandal, zum Thermofester und zu Schadensersatzansprüchen gegen Fahrzeughersteller wie Mercedes-Benz, Fiat, Volkswagen, Opel usw. haben, kontaktieren Sie uns!

EuGH-Urteil: Reisepreisminderung bei Beeinträchtigung und Abbruch der Reise wegen Corona-Maßnahmen

Der EuGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Beeinträchtigungen einer Reise und schließlich ihr vorzeitiges Ende wegen der Corona-Maßnahmen im Reiseland eine Reisepreisminderung rechtfertigen. Bisher wäre nach deutschem Recht von einem „allgemeinen Lebensrisiko“ bzw. „höherer Gewalt“ ausgegangen worden. So sahen es auch der verklagte deutsche Reiseveranstalter und das Amtsgericht München. Der EuGH urteilte hingegen im Sinne des Verbraucherschutzes zugunsten der Kläger.

Er führte aus, dass Art. 14 Abs. 1 der Pauschalreiserichtline dahin auszulegen ist, dass ein Reisender Anspruch auf eine Minderung des Reisepreises hat, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit angeordnet wurden, und solche Einschränkungen aufgrund der weltweiten Verbreitung dieser Krankheit auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern angeordnet wurden. Die Höhe der Preisminderung muss anhand der in der betreffenden Pauschalreise zusammengefassten Leistungen beurteilt werden und dem Wert der Leistungen entsprechen, deren Vertragswidrigkeit festgestellt wurde.

Der EuGH orientiert sich dabei eng am Wortlaut der Richtlinie. Diese sieht in Art. 14 Abs. 1 vor, dass Reisende einen Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum haben, in dem eine Vertragswidrigkeit vorliegt, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist. Hierbei handelt es sich um die einzige Ausnahme.

Minderungsansprüche des Reisenden werden somit schon allein bei Nichterbringung oder mangelhafter Erbringung der Reiseleistungen ausgelöst. Ob dies der Fall ist, wird rein objektiv durch einen Vergleich zwischen den vertraglich vereinbarten und den tatsächlich erbrachten Reiseleistungen bestimmt. Auf die Ursache der Vertragswidrigkeit, und ob diese dem Reiseveranstalter zuzurechnen ist oder außergewöhnliche Umstände vorliegen, kommt es hingegen nicht an.

Wer aufgrund der Corona-Pandemie von Einschränkungen während einer Pauschalreise Betroffen war, sollte daher prüfen (lassen), ob Minderungsansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter erhoben werden können.

Ansprüche auf Minderung des Reisepreises verjähren gemäß § 651j BGB in zwei Jahren nach dem planmäßigen Ende der Reise. Für Reisen, die im Jahr 2020 und damit wie im vom EuGH entschiedenen Fall zu Beginn der Ausbreitung der Pandemie in Europa stattgefunden haben, ist daher – sofern noch keine rechtliche Schritte eingeleitet wurden – Verjährung eingetreten.

Für spätere Reisen könnten hingegen noch Minderungsansprüche bestehen. Allerdings muss im Einzelfall genau geprüft werden, zu welcher Leistung sich der Reiseveranstalter verpflichtet hatte. Im Laufe der Zeit haben die Veranstalter ihre Reisebeschreibungen den jeweils aktuellen Entwicklungen angepasst, indem sie beispielsweise auf mögliche Einschränkungen bei der Nutzung hoteleigener Einrichtungen hingewiesen haben.

(EuGH, Urteil vom 12.01.2023, Rs. C-396/21)

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