Wir hatten
hier im Blog schon über ein Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz berichtet, wonach der Erwerber eines Betriebs nicht für Sozialversicherungsbeiträge haftet, die der vormalige Inhaber nicht abgeführt hat. Dreh- und Angelpunkt für eine etwaige Haftung ist § 25 Abs. 1 HGB. Nach der Auffassung des LSG Rheinland-Pfalz erfaßt diese Vorschrift offene Sozialversicherungsbeiträge nicht.
Nun hatte sich auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit dieser Problematik zu beschäftigen (
Beschluß v. 11.01.2011, Az. L 1 R 51/10 B ER). Es handelte sich allerdings nur um ein Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz. Das Gericht mußte die Frage also noch nicht endgültig entscheiden, führt aber u. a. unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz aus:
„Andererseits soll § 25 Abs . 1 HGB zwar alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten aus Vertrag, Delikt oder sonst aus Gesetz erfassen, jedoch nicht Sozialversicherungsbeiträge, da § 25 Abs. 1 HGB nur auf zivilrechtliche Ansprüche Anwendung finde und eine § 75 der Abgabenordnung (AO) vergleichbare Regelung fehle (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. August 2008 , Az: L 4 R 366/07).“
Das klingt ja zunächst mal, als ob sich das LSG Sachsen-Anhalt der Auffassung des LSG Rheinland-Pfalz anschließen wolle. Ob dies aber – wie es z.B. das
beck-blog vorwegnimmt – im Hauptsacheverfahren, wenn also tatsächlich über die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Krankenkasse, mit welchem sie den Betriebserwerber zur Zahlung verpflichtete, zu entscheiden ist, wirklich so kommen wird, ist bei genauerem Hinsehen noch völlig offen.
Das Gericht stellt nämlich vor der oben zitierten Passage auch einige Überlegungen dazu an, ob die Anwendung von § 25 Abs. 1 HGB voraussetzt, daß der Betriebsveräußerer Kaufmann im Sinne des HGB ist, oder die Vorschrift alle Unternehmensträger erfaßt.
„Das Gericht kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend entscheiden, ob der Ast nach § 25 Abs . 1 HGB für die geltend gemachte Forderung herangezogen werden kann . Nach § 25 Abs . 1 Satz 1 HGB haftet, wer ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt , für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers . Dabei ist umstritten, ob die Vorschrift nur eingreift, wenn der Veräußerer ein Kaufmann im Sinne der §§ 1ff . HGB ist, ob andererseits bei Kleingewerbetreibenden, deren Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert ( siehe § 1 Abs . 2 HGB ), die Haftung nicht greift oder ob vielmehr alle Unternehmensträger gegebenenfalls analog von der Vorschrift des § 25 HGB erfasst werden. Vorliegend ist offen, ob die Firma der vormaligen Inhaberin einen nach Art oder Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte (§ 1 Abs . 2 HGB ) oder, wenn dies verneint wird, in das Handelsregister eingetragen war (§ 2 HGB ).“
Diesen Ausführungen, Insbesondere dem letzten Satz, kann zweierlei entnommen werden:
1. Das Gericht hält § 25 Abs. 1 HGB nur für anwendbar, wenn der Veräußerer Kaufmann ist.
2. Für den Fall, daß die Kaufmannseigenschaft im Hauptsacheverfahren bejaht werden sollte, schließt es das Gericht keinesfalls aus, den Erwerber auch für Sozialversicherungsbeiträge nach § 25 Abs. 1 HGB haften zu lassen. Anderenfalls könnte es auf die Ermittlungen zur Kaufmannseigenschaft auch gleich verzichten und aussprechen, daß § 25 Abs. 1 HGB – Kaufmann hin oder her – keine Haftung für rückständige Sozialabgaben begründet.
Man darf gespannt sein, wie sich das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt letztlich entscheidet.
Betriebserwerber sollten aufgrund der nach wie vor nicht endgültig geklärten Rechtslage größtmögliche Vorsicht walten lassen und genau prüfen, an welchen Betrieb sie sich (ewig) binden.
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